Boulevard
München/Gauting, 12.10. 2009 05:04
Speakers Corner - Meinungen ohne Sinn und Verstand
Schöngeredet
Speakers Corner - Meinungen ohne Sinn und Verstand
Schöngeredet
Wir kennen sie doch alle, unsere kleinen Lügen des Alltags, die uns ein überlebensfähiges Ertragen des täglichen Lebens erst ermöglichen. Bloß manchmal wird‘s einfach zu viel. Wenn ich noch einmal höre: „Aaaach, so ganz ohne Alkohol, das könnt‘ ich nicht, zum gepflegten Abendessen gehört das einfach das gute Glas Rotwein“. Nur um zu sehen, wie der Typ auf dem Fest zwei Stunden und eine Flasche miesen Rotspons später unter‘m Tisch liegt.
Überhaupt will man‘s ja immer gut (wie in das „gute Buch“), gepflegt (siehe Restaurants) und vor allem sauber. Das ist immer das Erste, was man zu hören bekommt vom Übernachten in irgendeinem Hotel: „Primitiv, sauber war es“. Und dann drei Tage mit denselben Socken rumlaufen; von weiteren Kleidungsstücken ganz zu schweigen.
In dieselbe Kategorie fallen auch alle Aussagen, die mit „Ich bin ein Mensch, der wo...“ beginnen. Schon mal gehört, dass dann die Ansage käme, derjenige würde lügen, stehen, vergewaltigen oder in der Nase bohren? Nein, es sind immer die glänzendsten Charaktereigenschaften, die einem nach diesem Auftakt serviert werden. Am Ende des Tages ist man immer von Herzen dankbar und glücklich von derart vielen recht schaffenden Menschen umgeben zu sein. Ganz perfide wird‘s natürlich, wenn diese Aussage in Verbindung mit einem gepflegten Rassismus jedweder Provenienz garniert ist. In New York wird, leicht sarkastisch, kolportiert, das seien die Leute, die gerne „Some of my best friends are jewish (black, hispanic, etc.)“ in ihre Sätze einflechten, nur um dann eine besonders fette Breitseite gegen die eine oder andere Volksgruppe loszulassen.
Das Schönreden kann auch sehr einfach in den eigenen vier Wänden, zum Beispiel allein vor dem Spiegel praktiziert werden, sogar ganz ohne Worte. Man muss sich dadurch nur so geschickt vor das Spieglein, Spieglein an der Wand platzieren, dass man die über den Hosenbund hängende Plauze nur noch ansatzweise sieht. Schon gibt‘s zum Frühstück zwei Spiegeleier statt Knäckebrot ohne alles. In der gleichen Kategorie finden all die lieben Menschen mit „schwerem Knochenbau“; es scheint, als hätte ganz Deutschland da einen Gendefekt. Natürlich kommtdann sofort die Aussage: „Aber mein Schatzilein mag mich so“. Erinnert an den Witz, in dem der Mann immer glaubte, eine glückliche Ehe zu führen, bis er von München nach Hamburg umzog und nach ein paar Wochen merkte, dass er immer noch den gleichen Briefträger hat. Also, liebe Konchenbauapologeten, immer schön auf den Briefträger aufpassen.
Besondere Erwähnung verdienen auch die morgendlichen Kioskbesucher, die beim Rausgehen eine FAZ für den guten Eindruck beim Chef, eine Bildzeitung fürs Gemüt und eine Batterie kleiner Taschenflaschen von wahlweise Underberg, Sechsämtertropfen, Klosterbrand, Chantré, MariaCron und wie das Zeug so heißt in der Aktenmappe haben. „Wissens, ich brauch‘ das für meinen Magen“ ist dann gerne die probate Erklärung. Klar, außerdem geht das Zittern der Hände einigermaßen zurück... Und dann nehmen wir doch gleich die Riege, der Nikotinverächter dazu, die seit ewig und drei Tagen mit dem Rauchen aufhören wollen, aber immer wieder einen äußerst triftigen Grund dafür finden, das Unternehmen Rauchentzug auf nächste Woche zu verschieben.
Ganz selten mal, dass jemand offen zugibt, dass er säuft, raucht, rumhurt, arbeitsscheu und faul ist. Das macht ihn zwar zu einem sehr sympathischen Zeitgenossen, aber gesellschaftsfähig ist so jemand natürlich keinesfalls. Da spielen wir uns doch lieber jeden Tag unsere kleinen menschlichen Kommödien der felsenfest geglaubten Halblügen und Dreiviertelwahrheiten vor, denn mit der lauteren Wahrheit sich selbst und anderen gegenüber verhält sich‘s wie mit der großen Liebe: auf Dauer nicht erträglich.
tomas nittner ist bildender Künstler, Grafiker und Autor. Seine Ausbildung genoss er an der Accadèmia di Brera in Mailand und an der Hochschule für Gestaltung, Abteilung Visuelle Kommunikation, in Ulm. Er war Mitarbeiter bei Otl Aicher für die Gestaltung der Olympischen Spiele in München 1972. Er hat ein Drittel seines arbeitenden Lebens im Ausland verbracht: Italien, Schweiz, Frankreich, Mexiko, USA. Als Grafiker hat er für namhafte Firmen im Bereich Corporate Design gearbeitet. In der bildenden Kunst stellte er in Deutschland, Italien, Frankreich, Griechenland und den USA aus. Als Autor war er an verschiedenen Satirebänden beteiligt und verfasst laufend satirische Texte, aber auch Werbetexte sind ihm nicht ganz fremd.
tomas nittner ist böhmisch-österreichischer Herkunft, in der Zwischenzeit eingemeindet.
Bildunterschrift:tomas nittner
Kontaktinformationen:
tomas nittner
Wessobrunner Straße 4
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+49(0)171-796 74 27
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