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NDR
Vergabe-Methoden: Staatsanwaltschaft ermittelt
Zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage hat das niedersächsische Wirtschaftsministerium eine problematische Auftragsvergabe einräumen müssen. Minister Olaf Lies (SPD) unterrichtete den Landtag am Mittwochmorgen darüber, dass bei der Kooperation mit einem privaten Radiosender 2015 gegen das Vergaberecht verstoßen wurde. Erst vergangene Woche war bekannt geworden, dass Staatssekretärin Daniela Behrens (SPD) für die Gestaltung einer Internetseite Vorab-Gespräche mit einer Agentur geführt hatte, die später den Auftrag bekam. In diesem Fall ermittelt jetzt die Staatsanwaltschaft Hannover gegen Behrens und gegen Unbekannt.
Weitere Personalie: Lies versetzt Pressesprecher
Hallo Niedersachsen - 17.05.2017 19:30 Uhr
Wirtschaftsminister Lies hat zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage unsaubere Methoden bei der Auftragsvergabe zugegeben. Sein Pressesprecher wurde mit anderen Aufgaben betraut.
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"Das ist keine Vorverurteilung"
Die Staatsanwaltschaft habe aufgrund der "massiven Berichterstattung" ein Verfahren eingeleitet, sagte Oberstaatsanwalt Thomas Klinge am Mittwoch. "Das ist keine Vorverurteilung", betonte er. Wirtschaftsminister Lies hat für Freitag ein Gespräch mit dem Landesrechnungshof angekündigt, um die Vorwürfe zu klären.
Kooperation "finalisieren" - schon vor Ausschreibung
Stefan Wittke wollte laut Hallo Niedersachsen schon 2014 die Partnerschaft mit einem Privatsender festmachen. (Archivbild)
Zunächst zum neuen, am Mittwoch bekannt gewordenen Fall: Dabei geht es um Lies' Pressesprecher Stefan Wittke. Für eine Städtetour zur Elektromobilität 2015 suchte das Ministerium einen Radiosender als Kooperationspartner. Wittke traf sich mit Vertretern eines Senders - bereits vor der Ausschreibung. Und eben dieser Sender erhielt am Ende den Zuschlag. Dem NDR Regionalmagazin Hallo Niedersachsen liegen E-Mails von Juni 2014 vor. Dort schreibt Wittke, er möchte "in Sachen Medienpartnerschaft gerne Nägel mit Köpfen machen" und sich treffen, um die "Dinge zu finalisieren". Das war Monate, bevor der Auftrag ausgeschrieben wurde.
"Wusste nicht, dass ausgeschrieben werden muss"
Auf diese Mails angesprochen, heißt es aus dem Ministerium, der Sprecher habe zu diesem Zeitpunkt nicht gewusst, dass der Auftrag ausgeschrieben werden muss. Der Radiosender teilte Hallo Niedersachsen am Mittwoch mit, er habe "als privatwirtschaftliches Wirtschaftsunternehmen damals einen marktüblichen Vertrag abgeschlossen, zu dessen Inhalt und dessen Abschluss wir uns (...) nicht äußern werden, da dieser nichtöffentlich ist".
Nicht das günstigste Angebot erhielt den Zuschlag
Lies nannte die Veranstaltungsreihe des Ministeriums, die an sieben Wochenenden von Mai bis Juli 2015 stattfand, "organisatorisch sehr aufwendig". Es habe enormer Zeitdruck geherrscht, zudem sei eine möglichst große Begleitung durch die Medien gewünscht gewesen. Wittke habe deshalb Kontakt zu einem privaten Sender aufgenommen, der die Mitwirkung eines prominenten Moderators in Aussicht stellte. Erst anschließend wurden insgesamt drei private Radiosender aufgefordert, ein Angebot abzugeben. Wittke empfahl "aufgrund des größeren Werbeeffekts" den Sender, der von ihm bereits vorab kontaktiert worden war. Dabei lag dessen Angebot mit rund 14.500 Euro preislich in der Mitte. In der Ausschreibung hatte es geheißen, das günstigste Angebot werde berücksichtigt.
Lies: "Auftrag hätte so nicht vergeben werden dürfen"
Das hausinterne Vergabereferat hielt dem Minister zufolge in einem Vermerk fest, die Entscheidung sei "rechtlich nicht tragfähig". Relevant dafür dürfe nur der günstigste Preis sein. Auf dringliche Nachfrage der Ministeriumsleitung wies das Referat schließlich die zwei anderen Angebote aus formalen Gründen zurück: Ein Unternehmen hatte sein Angebot nicht unterschrieben, ein weiteres hatte sich fälschlicherweise auf seine eigenen Geschäftsbedingungen berufen. Nur das dritte Angebot sei als akzeptabel eingestuft worden. "Bei der Durchsicht der Unterlagen in den vergangenen Tage ist dann aufgefallen, dass auch das dritte Angebot formal fehlerhaft war", sagte Lies am Mittwoch. Der Auftrag hätte so nicht vergeben werden dürfen - die Städtetour wurde aber mit dem privaten Sender und seinem prominenten Moderator durchgeführt. Die Konsequenz im Ressort: Lies hat seinen Pressesprecher für die Dauer der Aufklärung mit anderen Aufgaben betraut, sagte der Minister.
Teuerstes Angebot vorher ausgewählt
Der Fall von Staatssekretärin Behrens war ähnlich gelagert. Sie hatte sich um die Neugestaltung der Website www.nds.de gekümmert, mit der das Wirtschaftsministerium um Investoren wirbt. Wie Behrens vor dem Wirtschaftsausschuss sagte, war die Seite vor mehr als zehn Jahren entwickelt worden und fristete ein Schattendasein. Im Februar 2016 wurde die Neugestaltung ausgeschrieben, das Auftragsvolumen betrug 200.000 Euro. Bereits vor der Ausschreibung soll sich Behrens nach Darstellung des Wirtschaftsministeriums zweimal mit Vertretern der von ihr favorisierten Agentur aus Hannover getroffen haben. Ein drittes Gespräch wurde von anderen Mitarbeitern des Ministeriums geführt. Die Firma kannte also Details des Auftrags - anders als ihre Mitbewerber. Sie erhielt auch hinterher den Zuschlag, obwohl ihr Angebot mit 180.000 Euro das teuerste war.
Weitere Informationen
Untersuchungsausschuss ist beschlossene Sache
Ende der Sitzungswoche: Die Abgeordneten des Niedersächsischen Landtags haben am Donnerstag für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses in der Vergabe-Affäre gestimmt. mehr
Opposition fordert Konsequenzen
In der Sitzung des Wirtschaftsausschusses in der vergangenen Woche hat Behrens die Verantwortung für den Fehler übernommen und sich dafür entschuldigt. Lies sagte, man werde den Sachverhalt aufarbeiten und Schlüsse daraus ziehen. CDU und FDP im Landtag geht das nicht weit genug. Sie fordern, Behrens müsse ihre Arbeit ruhen lassen, bis der Vorfall restlos aufgeklärt sei. Von einem "handfesten Skandal" sprach der CDU-Abgeordnete und ehemalige Innenminister Uwe Schünemann in einer Aktuellen Stunde des Landtags: "Das war kein Blackout, das war Vorsatz." Lies sprach dagegen von "Verfahrensfehlern", wies den Begriff der Mauschelei aber weit von sich: "Es ging um ein gutes Produkt und nicht darum, eine Firma zu bevorzugen." Die Seite sei inzwischen online und habe deutlich mehr Zugriffe als zuvor.
Saarbrücker Zeitung
St. Ingbert will gegen Korruption vorgehen
St. Ingbert. Als erste saarländische Gemeinde will St. Ingbert dem Verein „Transparency International (TI) Deutschland“ beitreten. Dies hat der Stadtrat auf Antrag der Familien-Partei beschlossen. St. Ingbert wird in dem gemeinnützigen Verein Mitglied, um die Stadt nachhaltig auf Werte wie Transparenz, Verantwortlichkeit, Integrität, Solidarität, Zivilcourage, Gerechtigkeit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit festzulegen. „Gerade auf kommunaler Ebene hört man immer wieder von Günstlingsverhalten“, heißt es in einem Brief des Fraktionsvorsitzenden der Familien-Partei, Roland Körner, an den Oberbürgermeister, „dabei ist es wichtig, anvertraute Macht eben nicht gerade zum privaten Nutzen oder Vorteil zu missbrauchen. Der Beitritt kann helfen, in Verwaltung und Politik eine vertrauenswürdige, transparente, werteorientierte und zivile demokratische Politikkultur zu implementieren. Von: Cornelia Jung
Ein Code of conduct sollte in naher Zukunft entwickelt werden.“ Mit dem Beitritt verpflichten sich die Mitglieder, diesen Verhaltenskodex anzuerkennen mit dem Ziel, der Korruption in Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Justiz, Zivilgesellschaft und dem täglichen Leben die Stirn zu bieten. Transparency International handelt unabhängig und überparteilich und mit dem Auftrag, korruptionsfördernde Strukturen und Rahmenbedingungen in allen Lebensbereichen zu identifizieren und so zu verändern, dass Bestechlichkeit in vielen Bereichen gesellschaftlich geächtet und nachhaltig eingedämmt wird.
Ein zu zahlender Mitgliedsbeitrag kann auf jährlich 1000 Euro bemessen werden. Wie Körners Schreiben zu entnehmen ist, sehe man in dem Beitritt einen wichtigen Schritt zu mehr Transparenz und Glaubwürdigkeit in Politik und Verwaltung in St. Ingbert.
Stuttgarter Zeitung
Korruptionsskandal in Regensburg
“Wolli“ warf mit Geld nur so um sich
„Er kniet sich rein“: Joachim Wolbergs und sein Wahlkampfslogan Foto: dpa
In Regensburg könnte der größte kommunale Bestechungsskandal in Nachkriegsdeutschland aufgedeckt werden. In seinem Zentrum steht der suspendierte Oberbürgermeister Joachim Wolbergs (SPD). Immerhin: Reden kann der Mann – da sind sich alle einig.
München - Regensburg ist Weltkulturerbe. Regensburg war Römerstadt, Kaiserstadt, immerwährender Reichstag. Als Studentenstadt ist Regensburg gerade mächtig in, und wegen der reichen Industrie boomt die Stadt an allen Ecken und Enden. Ihr Altstadtkorsett ist ihr längst zu eng geworden. Die Stadt baut, wo sie nur kann. Der örtliche Fußballverein ist gerade wieder in die Zweite Liga aufgestiegen. Auch da geht was vorwärts. Politisch aber hängt Regensburg mächtig durch.
Die Staatsanwaltschaft an diesem Donnerstag gegen Joachim Wolbergs (SPD), den suspendierten Oberbürgermeister, Anklage erhoben: Bestechlichkeit, krumme Finanzbeschaffung für seinen Wahlkampf, millionenschwere Kungelei mit einem Baulöwen wirft die Anklage dem 46-Jährigen vor – und der Baulöwe soll gleich mit vor Gericht. Die Affäre aber, die den größten städtischen Bestechungsskandal in Nachkriegsdeutschland darstellen dürfte, geht noch weiter. Mit Wolbergsist nämlich auch der zurückgetretene SPD-Fraktionschef im Stadtrat, Norbert Hartl, als Profiteur und „Gehilfe und Mittäter“ angeklagt. Und ganz am Ende der siebenseitigen Pressemitteilung versteckt sich ein bedeutender Satz: Es seien „weitere Ermittlungsverfahren gegen verschiedene Personen anhängig“ – und jedenfalls einen prominenten Namen kennt die Öffentlichkeit schon: Hans Schaidinger (68) ist der Vorgänger Wolbergs im Amt des Oberbürgermeisters. Der Ex-OB gehört der anderen Partei an, der CSU, und das heißt, dass die Staatsanwaltschaft im offenbar recht hemdsärmelig regierten Regensburg ein größeres, lagerübergreifend geknüpftes Netz an Korruption und verwandten Machenschaften verborgen sieht.
Fußball im Schlamassel
Alles hängt mit dem Boom der Stadt zusammen. Und mit dem Fußball. Mit Brot und Spielen also, wie bei den alten Römern. In der Zeit vor 2014, in der Joachim Wolbergs OB werden will – um jeden Preis hat er das gewollt, sagen Leute, die ihn kennen – steckt der SSV Jahn Regenburg in dicken finanziellen Schwierigkeiten. Da trifft es sich gut, dass ein anderer, der viel Geld hat, auch unbedingt was will: Volker Tretzel, Bauunternehmer, will das Gelände der aufgelassenen Nibelungenkasernehaben, um dort hunderte von Wohnungen zu erstellen. 35 Hektar Fläche, Projektvolumen: 100 Millionen Euro. Da ist Musik drin.
Und Tretzel bekommt das Gelände, obwohl er nicht das günstigste Angebot vorgelegt und der Stadtrat ihn deshalb zuerst hat abblitzen lassen. Aber seit Mai 2014 ist Wolbergs OB; mehr als 70 Prozent der Stimmen hat er bei der Stichwahl erhalten – und gleich am Tag nach seinem Amtsantritt kassiert er die Ausschreibung. Er lässt für das Nibelungen-Areal eine neue Ausschreibung formulieren, eine die exakt auf Tretzels Unternehmen „zugeschnitten“ ist, wie die Staatsanwaltschaft meint. Und damit ja nichts schief geht, schickt der städtische Fraktionschef der SPD die ersten Entwürfe per Fax an den Baulöwen: Der soll in Rot vermerken, wo er Änderungswünsche hat.
Im Oktober 2014 teilt der Stadtrat das Nibelungen-Gelände tatsächlich dem „Bauteam Tretzel“ zu. Und als der SSV Jahn Regensburg sechs Tage später die dringend nötige Kapitalerhöhung beschließt – unter seinem Aufsichtsratschef Joachim Wolbergs –, ist Tretzel mit insgesamt 2,8 Millionen Euro dabei. „Diese Zuwendungen soll der angeschuldigte Unternehmer für den Zuschlag beim Kasernenareal in Aussicht gestellt haben“, sagt die Staatsanwaltschaft.
Sonderbarer Machtwechsel
Womöglich hat Tretzel schon länger etwas „in Aussicht gestellt“, noch unter dem CSU-Stadtoberhaupt Schaidinger. Denn als dieser 2014 altershalber aus dem Amt schied, wechselte er beinahe nahtlos über in einen Beratervertrag beim „Bauteam Tretzel“: für 20 000 Euro Monatshonorar und das Recht, die Segelyacht des Unternehmers kostenlos zu nutzen. „Mit Skipper“, wie die Staatsanwaltschaft anmerkt.
Schon der Amtswechsel im Regensburger Rathaus ließ sich merkwürdig an. Kurz vor dem Wahltag demontierteSchaidinger in aller Öffentlichkeit den OB-Kandidaten seiner eigenen Partei, der CSU – und machte damit die Bahn frei für den SPD-Mann Wolbergs, der schon seit 2008 Dritter Bürgermeister war. Und nicht viel weniger lang, so die Staatsanwaltschaft, könnte Wolbergs auf der Gehaltsliste des Bauunternehmers gestanden haben.
Süddeutsche Zeitung
Audi fürchtete schon 2013 aufzufliegen
„Gesichtsverlust" und hohe Strafen: Motorenexperten des Autokonzerns wiesen früh auf die gravierenden Folgen der Abgasmanipulationen hin. Doch die Tricksereien gingen weiter
VON KLAUS OTT
München — Beim Ingolstädter Autohersteller Audi haben Fachleute aus der Motorenentwicklung intern frühzeitig auf die Abgasmanipulationen in den USA hingewiesen und eindringlich vor Strafen gewarnt.
In einem Dokument vom 11. Oktober 2013 heißt es nach Informationen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR, das „Kernrisiko" bestehe in einer „Aufdeckung" der betreffenden Software bei Dieselfahrzeugen durch die US-Behörden. Das könne zu hohen Geldbußen führen. Die Technikexperten schlugen vor, diese Software so schnell wie möglich umzustellen.
Das geschah aber nicht. Stattdessen wurde weiter manipuliert, bis die US-Behörden zwei Jahre später die Gesetzesverstöße bei Volkswagen und der VW-Tochter Audi enthüllten. VW musste, auch für die Verstöße bei Audi, in den USA Strafen und Schadenersatz in Höhe von mehr als 20 Milliarden Dollar zahlen. Volkswagen und die Ingolstädter Tochter wären wahrscheinlich besser weggekommen, wenn die alarmierenden Hinweise der eigenen Fachleute befolgt worden wären. Nach Erkenntnissen der US-Behörden hatte Audi das elfseitige Papier mit dem Titel „Risikoeinschätzung" an VW weitergereicht. Audi und VW äußerten sich nicht zu dem Papier.
Die Ingolstädter Motorenentwickler beschrieben darin eine in den Vereinigten Staaten verbotene Software, mit der die Abgasreinigung auf der Straße weitgehend abgeschaltet wurde. Beim kalifornischen Umweltamt CARB eingereichte Unterlagen seien „falsch oder nicht vollständig". Bei der US-Umweltbehörde EPA würden „im Extremfall die Emissionsanforderungen" nicht erfüllt. Es gehe um 62 000 Fahrzeuge mit dem Motor V6 TDI. Die Strafe könne bis zu 37500 Dollar pro Auto betragen.
Dies wären insgesamt bis zu rund 2,3 Milliarden Dollar. Diese Summe ist in dem Papier aber nicht genannt. Die drohenden Folgen inklusive eines Rufschadens werden drastisch beschrieben. In anderen bekannt gewordenen Fällen sei die „negative Publicity" ausgesprochen hoch gewesen.
Der „Gesichtsverlust" bei der Behörde sei nachhaltig. Die Audi-Fachleute gingen davon aus, dass die Autokäufer die Manipulationen nicht bemerkten. „Eine direkte Auffälligkeit vor Kunden ist eher gering." Behörden könnten dies aber entdecken und eine Nachrüstung der Fahrzeuge anordnen. Im schlimmsten Falle drohe ein Widerruf der Zulassung. Bislang gibt es kei ne Hinweise, dass die Vorstände von Audi oder VW damals das Papier bekommen hatten. Der VW-Aufsichtsrat lässt seit Langem prüfen, ob damalige Vorstandsmitgliedern gegen ihre Pflichten verstoßen haben und Schadenersatz zahlen müssen.
Dazu könnte die Frage gehören, wie es sein kann, dass solch eine Warnung nicht die Chefetage erreicht. Denkbar wäre ein Organisationsverschulden. Im Audi-Aufsichtsrat wird diskutiert, ob Rupert Stadler Konzernchef bleiben kann. Oder ob er, weil er das Unternehmen schlecht organisiert habe, abgelöst werden müsse.
Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt hat für 22000 Porsche-Cayenne wegen Abgas-Manipulationen einen Rückruf angeordnet. Die Fahrzeuge enthalten Audi Motoren. Porsche gehört wie Audi zum VW Konzern.
WirtschaftsWoche
Kredit statt Kontrolle
TÜRKEI : Europa prüft, wie es dem Autokraten Erdoüan den Geldhahn zudrehen kann.
Aber von EU-dominierten Banken erhält er weiter Milliarden.
Thomas Mirow ist ein zurückhaltender Mensch. Er redet wohlbedacht und ruhig, kein Anflug von Erregung ist seiner Stimme zu entnehmen. Mirow ist außerdem ein Mann mit ebenso tadellosem wie bewegtem Lebenslauf: in jungen Jahren Mitarbeiter Willy Brandts, dann Senator in Hamburg, Unternehmensberater, Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, außerdem wirtschaftspolitischer Berater Gerhard Schröders im Kanzleramt.
Weniger bekannt ist, dass Mirow auch eine Geschichte mit der Türkei verbindet. Der heutige Aufsichtsratschef der HSH Nordbank war von 2008 bis 2012 Chef der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (European Bank for Reconstruction and Development, EBRD). In seiner Zeit fiel der Entschluss, die Türkei in den Kreis der Empfängerländer aufzunehmen.
Mirow kann also aus einer Äraberichten, die man sich keine zehn Jahre danach kaum noch vorstellen kann. Es sei damals breiter politischer Konsens gewesen, die Türkei bei ihrem Modernisierungskurs zu unterstützen, erzählt Mirow. „Es gab dafür ja auch gute Gründe: Das Land hat wirtschaftlich enormes Potenzial und ist geostrategisch von größter Wichtigkeit." Unverhohlene Warnung Die geopolitische Welt des Jahres 2017 hingegen ist eine fundamental andere. Unter Präsident Recep Tayyip Erdean hat sich das Land zu einer unberechenbaren Autokratie gewandelt. Presse und Opposition werden massiv unterdrückt, die Justiz gleichgeschaltet. Die jüngste Verhaftung eines Entwicklungshelfers und eine vermeintliche Terrorliste, auf der sich viele namhafte Unternehmen finden, sorgten auf deutscher Seite für eine neue Eskalationsstufe: Außenminister Sigmar Gabriel sprach eine Reisewarnung aus und stellte unverhohlen wie nie Investitionen in der Türkei infrage.
Auch als in Brüssel in dieser Woche Vertreter der EU und der Türkei zusammenkamen, war die Kluft nicht einmal mehr rhetorisch zu überbrücken. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavuselu rückte „Pseudojournalisten" gar in die Nähe von Terroristen. „Die sprengen gerade ihren Rechtsstaat in die Luft oder das, was noch davon übrig ist", erregt sich ein EU-Diplomat. Das europäisch-türkische Verhältnis ist auf einem historischen Tiefpunkt angelangt.
Kann man die Türkei noch zum Einlenken bewegen? Wie wäre das Land zurück auf den Pfad des Westens zu bringen? Brüssel und Berlin bleibt als Hebel nicht viel mehr als finanzieller und wirtschaftlicher Druck.
Die Bundesregierung prüft bereits den Entzug von Hermes-Kreditbürgschaften. Umso überraschender, auch irritierender ist deshalb dies: Öffentlich finanzierte Förderbanken, in denen Deutschland gewichtigen Einfluss hat, gehören weiterhin zu den größten Geldgebern Erdeans. Sie halten das Regime wirtschaftlich am Laufen trotz allem.
Mittendrin, immer noch: die EBRD. Wer mit Exchef Thomas Mirow spricht, erfährt in sehr sachlichem Ton aber etwas sehr Wichtiges: Zu diesem Kurs gäbe es selbstverständlich eine Alternative. „Die EBRD ist keine apolitische Institution im Gegenteil: Die Förderung von Marktwirtschaft, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gehören zu ihren Grundprinzipien", sagt er. Und ohne Vorbild wäre ein solches Umdenken auch nicht: „Die Bank hat in der Vergangenheit bereits bewiesen, dass sie Konsequenzen ziehen kann: So haben wir in meiner Zeit aufgrund der politischen Entwicklung alle Investitionen in Usbekistan gestoppt." Vor solcher Konsequenz aber schrecken die europäischen Anteilseigner im Fall der Türkei noch immer zurück. Die EBRD traute sich nicht einmal, gegen die Verhaftung von Exmitarbeitern der Istanbuler Börse zu protestieren obwohl sie zu zehn Prozent an der Börse beteiligt ist. „Es handelt sich hier um strafrechtliche Ermittlungen, auf die wir keinen Einfluss haben", so der Kommentar der Bank auf Anfrage der WirtschaftsWoche.
Wie unverdrossen das Geld weiter fließt, lässt sich etwa in einer der vielen Burger King-Filialen in der Türkei besichtigen.
1500 gibt es davon bereits damit es bald noch mehr werden, hat die EBRD dem Unternehmen TFI TAB Food Investments einen Kredit in Höhe von 50 Millionen Euro gewährt. TFI TAB ist Franchisenehmer von Burger King in der Türkei und gehört zu Ata Holding, einem Milliardenkonzern.
Und nicht nur das: Kein Staat wird derzeit so großzügig mit Krediten unterstützt wie die Türkei. Insgesamt investierte die Bank in den vergangenen Jahren mehr als neun Milliarden Euro in mehr als 200 Projekte. Unter den Begünstigten sind internationale Konzerne wie Ford Otosan, aber auch kleine und mittelständische Unternehmen wie der Aufzugteilehersteller Arkel, der Autozulieferer TKG oder Feuchttuchhersteller Sapro.
Für Erdogan ist dieser Geldregen ein Segen.
Nach dem fehlgeschlagenen Putsch 2016 muss die Regierung in Ankara um das Wirtschaftswachstum des Schwellenlandes fürchten. Die Hilfe der Londoner Bank ist da umso wichtiger. „Für die EBRD bleibt die Türkei das wichtigste Operationsgebiet", sagt Fidanka McGrath von der Nichtregie rungsorganisation Bankwatch. 2016 pumpte die Bank 1,9 Milliarden Euro ins Land. Das macht sage und schreibe 20 Prozent ihres Budgets aus.
Politisch fragwürdig ist vor allem der „Southern Gas Corridor". Die Pipeline soll Europa unabhängiger von der russischen Energiezufuhr machen, indem sie Öl und Gas aus Aserbaidschan über die Türkei und Griechenland nach Mitteleuropa bringt. Aserbaidschan aber gilt als autoritär geführte Diktatur. Auf dem Index für Pressefreiheit rangiert das Land auf Platz 162 von 180 möglichen. Präsident Aliyev ist allerdings einer der besten Freunde des türkischen Staatschefs.
Dubiose Partner Den Streckenabschnitt in der Türkei baut das Konsortium Tanap (Trans Anatolian Natural Gas Pipeline). Dessen Hauptvertragspartner ist das Staatsunternehmen Botas, das direkt dem Energieministerium untersteht, das wiederum Erdogan Schwiegersohn Berat Albayrak leitet. Alle Zulieferbetriebe unterhalten enge Beziehungen zur Regierungspartei AKP. Ein Hindernis? Nicht für die EBRD, die sich mit 1,5 Milliarden Euro an dem Großprojekt beteiligten will.
„Die EBRD behauptet, sie könne versichern, dass ihre Investitionen nicht missbraucht werden", sagt Fidanka McGrath von Bankwatch. „Aber das ist angesichts der Intransparenz und Korruption bei diesem Projekt nicht möglich." Bleibt die Frage, weshalb die Bank so gerne am Bosporus investiert. Man sei „kein Gut-Wetter-Freund, sondern ein langfristiger Partner", heißt es dazu offiziell vom Geldhaus. Das Volumen sei der Größe der türkischen Volkswirtschaft geschuldet.
Auch Exchef Mirow weist daraufhin, dass das Kappen von Beziehungen sorgfältig abgewogen werden müsse: „Die Folgen für aufgeschlossene, modernisierungswillige Mittelständler können schnell viel gravierender sein als für die eigentlich verantwortlichen Regierungen." Aber was sagt die Bundesregierung? In der Bank ist Deutschland einer der größten Anteilseigner, vertreten durch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und seinenStaatssekretär. „Die Bundesregierung ver folgt die politische und rechtliche Entwicklung in der Türkei aufmerksam", heißt es aus seinem Haus aufWirtschaftsWoche-Anfrage. Die EBRD sei den Prinzipien der Mehrparteiendemokratie und der freien Marktwirtschaft verpflichtet. ,or diesem Hintergrund hat der deutsche Vertreter bereits gegenüber dem EBRD-Management und im EBRD-Direktorium eingefordert, zu Geschäften und Investitionsprojekten mit der Türkei die Entwicklung im Land genau zu beobachten." Ein restriktiveres Vorgehen gegenüber dem Staatssektor erfordere aber koordiniertes Vorgehen der europäischen Anteilseigner.
Kurz gesagt: Für einen härteren Kurs gegen Erdogan fehlt die Mehrheit.
Trotzdem stellt sich die Frage, warum Berlin und Brüssel nicht mehr Mühe darauf verwenden, den Bankenhebel zu fassen zu kriegen. Denn: Solange die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei nicht offiziell beendet werden, taugt ein Kappen der damit verbundenen Geldflüsse kaum als Drohung.
4,45 Milliarden Euro sind im EU-Haushalt bis 2020 als Vorbeitrittshilfen für die Türkei vorgesehen. Erst 1,65 Milliarden Euro davon sind verplant, gerade einmal 190 Millionen Euro wurden bereits ausgezahlt. Im März gab EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn bekannt, dass europäisches Geld vermehrt in Programme fließen soll, die die Zivilgesellschaft, die Demokratie-Entwicklung und Bildung und Wissenschaft stärken.
Ein Drittel der Mittel werde mittlerweile bereits in diesen Bereichen eingesetzt, unterstrich Hahn. Es ist ein Zeichen, aber ein schwaches.
Die Milliarden endgültig zur Disposition stellen könnte die EU tatsächlich erst, wenn die Beitrittsverhandlungen abgebrochen würden. Dies müssten die 28 EU-Außenminister beschließen und zwar einstimmig.
Bisher sieht es nicht danach aus, dass ein solcher Beschluss in absehbarer Zeit fallen könnte. Im Frühjahr war der österreichische Außenminister Sebastian Kurz mit einer entsprechenden Forderung vorgeprescht, fand bei seinen Amtskollegen aber keinen Widerhall.
Mehr zu machen wäre bei den sechs Milliarden aus dem Flüchtlingsdeal Europas mit der Türkei, genauer: bei deren zweiter Tranche. Die erste Tranche von drei Milliarden Euro wird bis Jahresende zugeteilt sein.
„Aus Sicht der Politiker in Berlin und anderen Hauptstädten war das bisher gut ausgegebenes Geld", sagt Marc Pierini von der Denkfabrik Carnegie Europe. Die Türkei hat Syrer aufgenommen und so die Flüchtlingswelle nach Mitteleuropa gestoppt. Aber nun müssen die Europäer im Herbst das weitere Vorgehen besprechen. Eigentlich haben sie der Türkei weitere drei Milliarden Euro in Aussicht gestellt. Aber den Europäern fehle das Vertrauen, so Pierini, früherer EU-Botschafter in der Türkei.
Gleichzeitig wissen beide Seiten, dass sie beim Flüchtlingsdeal aufeinander angewiesen sind. Wahrscheinlich werden die Europäer auf Zeit spielen. Die Frage nach den nächsten drei Milliarden stellt sich erst, wenn die erste Tranche fest in Projekte verplant ist. Noch ist es nicht so weit.
Retter China? Na ja.
Vielleicht braucht es erst weitere Eskalationen Erdogans, bis die EU entdeckt, welche Folterinstrumente ihr dank der Förderbanken noch zur Verfügung stünden. Denn neben der EBRD ist auch die Europäische Investitionsbank (EIB) in Luxemburg ein sehr eifriger Kreditgeber an die Türkei. Als die EU 2005 die Türkei-Beitrittsgespräche aufgenommen hatte, weitete die EIB ihr Türkeigeschäft erheblich aus. In den vergangenen Jahren hat sie Kredite im Volumen von 22 Milliarden Euro vergeben, fast die Hälfte davon gingen an kleinere und mittlere Unternehmen. Aber auch wichtige Infrastrukturprojekte hat die EIB finanziert, etwa die Hochgeschwindigkeitsverbindung zwischen Ankara und Istanbul und den Bau eines Eisenbahntunnels unter dem Bosporus.
Würde diese Quelle versiegen, hätte Erdean ein gewaltiges Problem. Denn die demonstrative Hinwendung gen Osten, vor allem nach China, hat ihm bislang kaum Luft verschafft. Das Pipeline-Projekt Tanap über Aserbaidschan ist das bislang einzige Projekt, das die von China dominierte Asian Infrastructure Investment Bank für die Türkei mitfinanziert hat. Eine belastbare Kreditgeber-Alternative zu Europa stellt dieses Engagement noch lange nicht dar.
Hinzu kommt: Das Handelsvolumen zwischen China und der Türkei ist zwar seit2002 von 2 auf 27 Milliarden US-Dollar gestiegen. Allerdings werden die Beziehungen immer wieder von Chinas hartem Vorgehen gegen seine muslimischen Minderheiten gestört. Selbst in der Staatspresse gelten die Beziehungen deshalb als ,yon vielen Herausforderungen belastet".
Noch ein Grund mehr für Europa also, Kredite als Druckmittel in Betracht zu ziehen.
Ex-EBRD Chef Mirow hat den Weg aufgezeigt: Geld kann sehr wohl politisch sein. • philipp mattheis I Istanbul, silke wettach Brüssel, lea deuber I Shanghai, max haerder I Berlin,
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Daimler irritieren die BMW-Irritationen
Der Konzernchef will von einem Zerwürfnis mit BMW nichts wissen. Zetsche freut sich über gute Verkäufe — auch vom Diesel.
Von Susanne Preuß und Henning Peitsmeier STUTTGART/MÜNCHEN, 26. Juli Der Kartellverdacht gegen deutsche Autohersteller kostet die Konzerne Milliarden. Allein Daimler ist an der Börse fast 5 Milliarden Euro weniger wert als vor einer Woche, als von den Vorwürfen noch nichts bekannt war. Und trotz einer guten Halbjahresbilanz ist der Kurs der Daimler-Aktie auch am Mittwoch noch einmal gesunken. „In der Tat macht die Autoindustrie Schlagzeilen — aber keine guten", sagte der Daimler-Vorstandsvorsitzende Dieter Zetsche in einer Telefonkonferenz.
Dass sich in dieser Situation VDA-Präsident Matthias Wissmann auf Distanz begibt, einen Kulturwandel und eine „Null Fehler-Toleranz in Sachen Compliance" einfordert, sorgt für Empörung: „Ich war überrascht über diese Stellungnahme und möchte dazu derzeit nichts mehr sagen", lautet die erkennbar verärgerte Reaktion des Daimler-Chefs, der üblicherweise sehr zurückhaltend mit Kommentaren ist.
Daimler, so bekräftigte er, habe ein umfassendes Compliance-Programm, das sich auch mit Kartellrechtsfragen befasse und laufend verbessert werde. Der Stuttgarter Konzern war vor mehr als einem Jahrzehnt wegen verschiedener Korruptionsfälle ins Visier der Börsenaufsicht SEC geraten und hatte im Zuge dessen ein Vorstandsressort für Recht und Integrität eingerichtet.
Zu den aktuellen Kartellvorwürfen sagte Zetsche nichts, sondern verwendete auf mehrfache Nachfragen nur den Satz, dass man sich „zu Spekulationen" nicht äußere. Damit bleibt auch unklar, ob und wann Daimler die Kartellbehörden infor miert hat. Sofern Daimler schneller war als VW und umfassendes Material zur Verfügung stellt, könnten die Stuttgarter in einem Kartellverfahren den Kronzeugenstatus in Anspruch nehmen und im Fall eines Urteils straffrei bleiben.
Das Nachsehen hätte BMW. Die Bayern haben erklärtermaßen keine Selbstanzeige gestellt. Dass es die Treffen der Entwicklungsvorstände im sogenannten Fünfer-Kreis (Daimler, BMW, VW, Audi, Porsche) über viele Jahre gab, wird auch von BMW nicht bestritten. Im Gegenteil: Nur zu gern hätten die Münchner die Fünfer Runde in die Arbeitsgruppen beim Verband der Automobilindustrie (VDA) integriert. Aber Mitglied eines Kartells zur Vertuschung eines Abgasbetrugs wollen sie nicht gewesen sein.
Umso deutlicher werden Irritationen über das Verhalten der Daimler-Führung gezeigt. Denn anders als mit VW pflegt BMW mit Daimler seit Jahren sehr enge Beziehungen. Die beiden Premiumhersteller kaufen gemeinsam diverse Autoteile bei Zulieferern ein und sind auch aktuell in Kooperationsgesprächen: Möglicherweise sollen die Car-Sharing-Unternehmen Drive Now und Car2Go zusammengelegt werden.
In München herrsche tiefes Misstrauen gegenüber den Stuttgartern, ist aus der Konzernzentrale am Petuelring zu hören. Daimler-Chef Dieter Zetsche allerdings wischte Mutmaßungen über den Abbruch der Gespräche vom Tisch: „Ich habe keinen Anlass, von irgendwelchen Irritationen auszugehen." Der Kartellverdacht ist nicht das einzige Streitthema zwischen den Premiumherstellern. Daimler hat sich vorige Woche schon unbeliebt gemacht, als der Konzern ein freiwilliges Rückrufprogramm auflegte, um 3 Millionen Diesel mit einer Softwareaktualisierung der Motorsteuerung nachzurüsten. Bei einigen scheine die „operative Hektik ausgebrochen zu sein", hieß es dazu in München unter Hinweis auf den Dieselgipfel der Bundesregie rung am 2. August, auf dem die deutschen Autohersteller eigentlich gemeinsam einen Vorschlag unterbreiten wollten.
„Die Nachrüstungen werden einen deutlich stärkeren Einfluss auf den Schadstoffausstoß haben, als die angedachten Fahrverbote das erreichen können", sagte Zetsche mit Blick auf die baden-württembergische Landeshauptstadt, in der das Verwaltungsgericht an diesem Freitag über die Notwendigkeit von Fahrverboten entscheidet. Für die ersten Modelle sei die Entwicklung der Software schon abgeschlossen. „Wir sind in der Abstimmung mit den Behörden", sagte Zetsche und demonstrierte damit, dass Mercedes-Fahrer voraussichtlich schneller mit einem Update rechnen können als die Kunden der Konkurrenz.
Das schwindende Vertrauen in den Diesel macht sich bei Mercedes-Benz offenbar auch nicht so stark bemerkbar wie bei anderen Marken. So meldet das Kraftfahrtbundesamt (KBA), dass im ersten Halbjahr die Zahl der in Deutschland zugelassenen Dieselautos bei Audi um 12 Prozent, bei VW um 11 Prozent und bei BMW um 10 Prozent gesunken sei, bei Mercedes-Benz aber nur um 0,5 Prozent.
Bezogen auf den gesamten Dieselabsatz, verbuche Mercedes noch ein Wachstum, wenn auch etwas unterproportional, berichtete Zetsche. Es gebe auch keine negative Entwicklung der Wiederverkaufswerte.
Im ersten Halbjahr hat Daimler 1,58 Millionen Fahrzeuge verkauft und damit einen Umsatz von knapp 80 Milliarden Euro erzielt. Das ist eine Steigerung von 9 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das Konzernergebnis im Halbjahr liegt mit 5,3 Milliarden Euro um 38 Prozent über dem Vorjahr, das Ebit (Ergebnis vor Zinsen und Steuern) zeigt ein Plus von 43 Prozent auf 7,7 Milliarden Euro. Besonders positiv hat sich die Rendite der Mercedes-Sparte entwickelt, die allein im zweiten Quartal 2,4 Milliarden Euro Ebit erwirtschaftete und damit eine Umsatzrendite von 10,2 Prozent.
„Wir haben erreicht, was wir uns vorgenommen haben", resümierte Konzernchef Zetsche: „Das ist umso bemerkenswerter, weil wir gleichzeitig viel in die Zukunft investiert haben." Langfristige Strategie sei es, neben einem starken Kerngeschäft ein ebenso starkes Geschäft mit den Zukunftsthemen aufzubauen, die man bei Daimler unter dem Schlagwort „Case" zusammenfasst — dem Kürzel für connected, automated, shared, electric.
Um die Robustheit der einzelnen Geschäftsfelder zu stärken, arbeite man an einer stärker divisionalen Struktur, kündigte der Daimler-Vorstand an. Es sei aber nicht daran gedacht, sich von einzelnen Divisionen zu trennen, bekräftigte Zetsche mit Blick auf die seit langem im Raum stehende Frage, ob Daimler die Truck-Sparte abspalten könnte.
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Importpreise treiben Handelsüberschuss
maj. FRANKFURT, 27. Juli. Fallende Importpreise haben den international vielkritisierten deutschen Exportüberschuss anwachsen lassen. Das geht aus einer am Dienstag veröffentlichten Analyse des Münchener Ifo-Instituts hervor. Danach haben sich die Importe von 2013 bis 2016 vergünstigt, während die Preise der deutschen Ausfuhren weitgehend unverändert blieben. „Dieser Preiseffekt hat in den Jahren 2013 bis 2016 den Überschuss um 2,1 Prozentpunkte der Jahreswirtschaftsleistung steigen lassen", sagte Ifo Konjunkturexperte Timo Wollmershäuser. Den größten Anteil daran habe der Rückgang der Öl und Gaspreise gehabt.
Nach Angaben der Ifo-Forscher hatte der Leistungsbilanzüberschuss im Sommer 2015 einen Rekordwert von 9,3 Prozent an der Wirtschaftsleistung erreicht, mittlerweile sei er wieder auf gut 8 Prozent gefallen. Wenn Öl und Gas infolge der Wiederbelebung der Weltkonjunktur sich verteuern sollten, sollte der umgekehrte Effekt eintreten. Der deutsche Leistungsbilanzüberschuss würde der Ifo-Schätzung zufolge wieder sinken und sich „dem 6-Prozent-Wert nähern, den die EU-Kommission gerade noch für verträglich hält", sagte Wollmershäuser. Deutschland steht für seine hohen Handelsüberschüsse in der Kritik.
Handelsblatt
Elite auf Abwegen
Erst Dieselskandal, dann Kartellverdacht: Nach den Bankern sind nun die Chefs der deutschen Autokonzerne zum Symbol einer Managerkaste geworden, die die Interessen von Bürgern und Kunden aus dem Blick verloren hat.
Notwendig ist eine ethische Neubesinnung, um das verloren gegangene Vertrauen zurückzugewinnen.
Dje Gästeliste im Stuttgarter Neuen Schloss war hochkarätig, das Thema brandaktuell. Neben Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble diskutierten unter anderem Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der Erzpriester des Ökumenischen Patriarchates Constantin Miron, Schriftstellerin Nilgün Tasman und Daimler-Chef Dieter Zetsche über „Ethik und Moral in Politik und Wirtschaft". Es ging um die soziale Verantwortung von Unternehmen und die Leitwerte unternehmerischen Handelns.
Eine Zusammenkunft wie geschaffen für den Daimler-Boss. Im Zusammenhang mit mehreren Korruptionsfällen war der Stuttgarter Autokonzern drei Jahre lang vom ehemaligen FBI-Chef Louis Freeh überwacht worden. Jetzt wollte Zetsche über die Rückkehr von Moral und Ordnung bei Daimler sprechen. Mit der Schaffung eines eigenen Vorstandsressorts „Integrität und Recht" verband er das Versprechen, eine Unternehmenskultur zu schaffen, die integres Handeln fördert. „Anständige Geschäfte sind unser ureigenes Interesse", betonte Zetsche. Ethische Prinzipien und ökonomische Entscheidungen seien zwei Seiten der gleichen Medaille. Große Worte von einem bedeutenden Manager der deutschen Wirtschaft.
Das war im Mai 2013. Heute, gut vier Jahre später, wirken die schönen Sätze wie Phrasen. „Die Autoindustrie macht derzeit Schlagzeilen und keine guten", befand Zetsche Mitte der Woche bei der Vorlage der Quartalszahlen. Daimler steht nicht nur im Verdacht, mit unsauberen Methoden die Abgaswerte seiner Dieselfahrzeuge manipuliert zu haben, drei Millionen Fahrzeuge hat der Konzern deshalb schon zurückgerufen. Der Autokonzern soll neben Volkswagen, Audi, BMW und Porsche zudem Teil eines Kartells gewesen sein, das sich über mehrere Jahrzehnte bei Fahrzeugen, Techniken und Zulieferern abgesprochen haben soll.
Die Vorwürfe sind gewaltig. Seit Anfang der 90er-Jahre sollen sich etwa 200 Ingenieure und Manager in 60 Arbeitskreisen regelmäßig zu Geheimtreffen verabredet haben, um unzählige Fragen bis ins letzte Detail zu diskutieren die Kosten von Einzelteilen, die Konditionen für Lieferanten oder die Größe von AdBlue-Tanks zur Reduzierung des Stickoxid-Ausstoßes bei Dieselmotoren.
Kungelrunden statt eines marktwirtschaftlichen Wettbewerbs? Geheimzirkel statt Transparenz? Die Konzerne nennen die Kartellvorwürfe „Spekulationen". Auf den Kartellverdacht kontern sie mit einem Kartell des Schweigens.
Die Wortkargheit der Autobosse steht aber in einem gewissen Spannungsverhältnis zu den Selbstanzeigen, die Volkswagen und Daimler bereits 2014 beziehungsweise 2016 abgegeben haben sollen. Zumindest Volkswagen soll darin „kartellrechtswidriges Verhalten" eingeräumt haben.
Sicher, noch stehen die Ermittlungen der zuständigen Behörden erst am Anfang.
Und wahrscheinlich haben auch nicht alle Absprachen gegen das strenge Kartellrecht verstoßen. Verboten sind nämlich vor allem Verabredungen, die den technischen Fortschritt behindern oder Preise festlegen. Absprachen, die Standards festlegen oder dem Verbraucher dienen, verstoßen dagegen nicht gegen Recht und Gesetz. Der juristische Graubereich des Kartellrechts ist groß, er lädt geradezu zu einer missbräuchlichen Auslegung ein. Angesichts der Aktenberge, die die Ermittlungsbehörden in dem aktuellen Fall von Volkswagen und Daimler zur Untersuchung bekommen haben, wird es deshalb wahrscheinlich mehrere Jahre dauern, bis ein endgültiges Ergebnis feststeht. Vor diesem Hintergrund verbietet sich eine Vorverurteilung der Branche.
Doch nach dem Einbau von illegaler Software in Dieselmotoren, der Manipulation von Abgaswerten, den Ermittlungen mehrerer Staatsanwaltschaften und den Milliardenstrafen der amerikanische Justiz ist das Vertrauen in die Autobranche schwer gestört. Auch ohne zu wissen, wie die kartellrechtlichen Ermittlungen ausgehen, steckt die Autobranche schon jetzt in der schwersten Krise der Nachkriegsgeschichte. Diese Krise lässt sich nicht am Umsatz oder Gewinn der Konzerne festmachen. Volkswagen, Daimler und BMW verdienen immer noch eindrucksvolle Milliardenbeträge. Doch vom Stolz der deutschen Wirtschaft ist nicht mehr viel geblieben, der Ruf ist ramponiert.
Die neuen Sorgenkinder Die Autokonzerne werden wie einst die Banken durch die Weltfinanzkrise zu den neuen Sorgenkindern der Deutschland AG.
Daimler, BMW und Volkswagen müssen sich fragen lassen, warum sie über Jahre systematisch getrickst, Kunden, Politiker und Anleger bei Abgaswerten belogen und sich immer wieder am Rand der Legalität bewegt haben. Und deutsche Politiker müssen sich fragen lassen, ob sie allzu leichtfertig eine ganze Volkswirtschaft den Interessen von „Big Motor" ausgeliefert haben mit Steuervergünstigungen, Subventionen und Kaufprämien. Einer Branche, deren Zukunftsfähigkeit ähnlich gefährdet erscheint wie die der Banken nach der Finanzkrise.
Es sind unangenehme Fragen, die sich die erfolgsverwöhnten Autokonzerne und ihre Schutzherren in der Politik stellen lassen müssen. Fragen, die sich nicht mit einem Facelift der nächsten Modellserie beantworten lassen, sondern einen radikalen Mentalitätswechsel und personelle Konsequenzen verlangen.
Schon bei Bekanntwerden der Dieselaffäre fiel es schwer zu glauben, dass die Abgasmanipulationen das Ergebnis von ein paar wenigen kriminellen Motorenentwicklern waren. Die Verfehlungen der Autobranche wiegen so schwer, dass selbst VDA-Präsident Matthias Wissmann, der oberste Interessenvertreter der Autoindustrie, eine moralische Besserung verlangte.
Ein „Surfen in rechtlichen Grauzonen" dürfe von niemandem akzeptiert werden, mahnte der frühere CDU-Verkehrsminister und Vertraute von Kanzlerin Angela Merkel. Für die Rechtstreue sei eine „Null-Fehler-Toleranz" nötig. „Das muss jedem Unternehmen klar sein." Die Aufregung in den Spitzenetagen der Autobranche und der Politik hat einen guten Grund. Fälle von Wirtschaftskriminalität hat es in Deutschland zwar immer wieder gegeben den Korruptionsskandal bei Siemens, den Libor-Skandal bei der Deutschen Bank oder die Bestechungsaffären in der Rüstungssparte von Thyssen-Krupp.
Doch die Autoindustrie ist nicht irgendeine Branche, sie ist das Herzstück der deutschen Wirtschaft. Kein anderes Land ex portiert so viele Fahrzeuge in die Welt. Die Fertigung von Fahrzeugen und Fahrzeugteilen macht 14 Prozent an der gesamten Wertschöpfung im produzierenden Gewerbe aus. Direkt und indirekt hängen einige Millionen Arbeitsplätze am Automobilsektor.
Daimler, BMW und Volkswagen sind die Kraftzentren der Deutschland AG und gleichzeitig die Achillesferse. Wenn die Produktion in Stuttgart, München und Wolfsburg stottert, spürt das mit etwas Zeitverzögerung die gesamte Wirtschaft.
Aus dieser besonderen Stellung ergibt sich auch eine besondere Verantwortung, die die Autobosse für das Land tragen. Und weil durch die aktuelle Vertrauenskrise Arbeitsplätze gefährdet sind, ist auch die Politik alarmiert. Die Kanzlerin sieht die Autoindustrie vor einer schweren Zukunft. SPD Kanzlerkandidat Martin Schulz nannte die Kartellvorwürfe einen „ungeheuerlichen Vorgang". Er wäre ein gigantischer Betrug zulasten der Kunden und der oftmals mittelständischen Zulieferer. Schulz: „In diesem Fall müssen die verantwortlichen Manager die Konsequenzen tragen." Die Märkte und die Bürger haben bereits Konsequenzen gezogen. Wegen des Dieselskandals sind die Aktienkurse wie die Verkaufszahlen des Verbrennungsmotors gesunken. Nach einer aktuellen Umfrage des Marktforschungsinstituts Innofact ist nur noch für 15 Prozent der Deutschen ein Dieselmotor die erste Wahl. Fast jeder fünfte Dieselfahrer denkt darüber nach, seinen Selbstzünder zu verkaufen. Die Zahlen sind für die Autokonzerne alarmierend, weil die Abhängigkeit vom Diesel für alle großen deutschen Marken hoch ist.
Der langsame Abschied der Deutschen vom Diesel liegt nicht nur an den drohenden Fahrverboten in einigen Städten wie Stuttgart, München und Hamburg. Die Skepsis liegt auch im verlorenen Vertrauen in die Autokonzerne begründet. Anders als früher sind die Anforderungen an eine gute Unternehmensführung erkennbar gestiegen. Es reicht nicht mehr, dass ein Vorstandschef gute Zahlen präsentiert. Mehr und mehr interessieren sich Anleger und Kunden für die moralische Dimension des Geschäftsmodells für Fragen der Nachhaltigkeit, Vergütung und Diversität. Themen, die für die Akzeptanz eines Geschäftsmodells bis vor wenigen Jahren keine große Bedeutung hatten.
Dieser Wertewandel der Gesellschaft verlangt nach einem Managertyp, der für weit mehr steht als Gewinnmaximierung um jeden Preis. Die Zeit für eine so eindimensionale Unternehmensführung ist seit der Weltfinanzkrise, die den Steuerzahler Milliarden gekostet hat, vorbei. Manager, die wie der ehemalige Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann eine Rendite von 25 Pro zent ins Zentrum der Unternehmenspolitik stellen, bekommen heute nur noch schwer einen Job im Topmanagement.
Viel zu lange haben auch die deutschen Autobosse das Mantra des „Breiter, Schwerer, Schneller" gepredigt. Trotz wachsender Umweltauflagen wurden Autos mit immer höheren PS-Zahlen auf den Markt gerollt. Die Bonusprogramme, Antrittsprämien und Abfindungen haben Dimensionen erreicht, die dem Facharbeiter nicht mehr zu erldären sind. Wenn Christine Hohmann-Dennhardt, die ehemalige Rechtsvorständin von Volkswagen, für 13 Monate Arbeit ebenso viele Millionen Euro Abfindung erhält, ist jedes Maß verloren.
Ebenso wie früher die Banker erscheinen heute die Vorstandschefs der Autokonzerne als Inbegriff einer abgehobenen Elite, mit ihren Firmenjetflotten, ihren protzigen Messeauftritten, ihrer barocken Hofhaltung bei Formel-1-Rennen oder bei den Spielen der von ihnen gesponserten Fußballvereine.
In der Gesellschaft hat sich längst eine Sehnsucht nach dem ehrbaren Kaufmann breitgemacht, der zugleich Vorbild ist. Um diesen Ansprüchen zu genügen, reicht es nicht, als CEO die Krawatte abzulegen.
„Der Kulturwandel muss tiefer gehen", hat VW-Vorstandschef Matthias Müller richtig erkannt. Aber wollen die Autobosse einen solch tiefgreifenden Wandel überhaupt? Das Verhalten in der aktuellen Krise lässt Zweifel aufkommen.
Rette sich, wer kann! Tatsächlich ging es unmittelbar nach der Veröffentlichung der Kartellvorwürfe vor knapp einer Woche in der Autowelt drunter und drüber. Den Auftakt machte Porsche-Betriebsratschef und VW-Aufsichtsratsmitglied Uwe Hück, der in der Sonntagspresse bereits die Ablösung des Audi-Vorstandes forderte, schließlich habe die Konzernschwester „kranke Motoren" an Porsche geliefert. Volkswagen-Konzernchef Matthias Müller musste daraufhin seinen eigenen Kontrolleur Hück zur Ordnung rufen. Müller selbst zog sich den Zorn von Niedersachsens Ministerpräsident und VW-Aufsichtsratsmitglied Stephan Weil zu, der sich in Sachen Kartell wie schon in derDieselaffäre nicht ausreichend informiert gefühlt hatte. Gemeinsam mit Betriebsratschef Bernd Osterloh ließ Weil Müller am Mittwoch zu einer Sondersitzung des Aufsichtsrates antreten.
Auch bei Daimler erschien Betriebsratschef Michael Brecht im Namen der Arbeitnehmer „entsetzt und verärgert" zur Aufsichtsratssitzung am Mittwoch. Zuvor hatte Konzernchef Dieter Zetsche seinen Groll über VDA-Chef Matthias Wissmann nicht mehr unterdrücken können, der die Autoindustrie zuvor zu mehr Rechtstreue und einer „Null-Fehler-Toleranz für Compliance" ermahnt hatte. „Ich war überrascht über diese Stellungnahme und möchte derzeit nicht mehr dazu sagen", knurrte Zetsche in Richtung Wissmann.
Richtig hintergangen fühlten sich derweil die BMW-Manager. Anders als VW und Daimler sind sie bislang nicht Ziel von Ermittlungen in Sachen Dieselbetrug. Deshalb fielen BMW-Chef Harald Krüger und sein Entwicklungsvorstand Klaus Fröhlich aus allen Abgaswolken, als sie von den Selbstanzeigen von Daimler und VW bei der europäischen Kartellbehörde hörten.
Während man mit den Kollegen vertrauensvoll kooperiert habe, seien hinter dem Rücken der BMW-Manager Sitzungsprotokolle an die Wettbewerbsbehörde gegangen, lautet der Vorwurf aus München. Und während die Kollegen aus Stuttgart und Wolfsburg im Falle eines Verfahrens wegen ihrer Aussagebereitschaft auf mildernde Umstände hoffen dürfen, träfe BMW die volle Härte des Kartellrechts.
Der Kinozuschauer kennt dieses Muster aus Mafia-Filmen. Jahrelang hält die Ornertà, das Gesetz des Schweigens. Doch wehe, wenn einer der Paten auspackt. Dann ha ben es plötzlich auch alle anderen ganz eilig, sich gegenseitig zu beschuldigen und so den Kopf aus der Schlinge zu ziehen.
Ein anderes bekanntes Muster aus solchen Filmen: Denen ganz oben lässt sich meist nichts nachweisen, ins Gefängnis wandern nur die kleinen Gangster.
Vom organisierten Verbrechen sind die deutschen Autokonzerne noch ein gutes Stück entfernt. Doch seltsamerweise soll auch bei ihnen die Mitwisserschaft abrupt in der zweiten oder dritten Führungsebene enden, sollen alle schmutzigen Geschäfte ohne Wissen von Vorstand und Aufsichtsrat abgelaufen sein.
Nur die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat in der Dieselaffäre mit Martin Winterkorn, Matthias Müller und Hans Dieter Pötsch Vorstände und Aufsichtsräte im Visier. Bei Daimler und Audi ermitteln die zuständigen Staatsanwälte in Stuttgart und München dagegen ausschließlich gegen Mittelmanager und Techniker. Verhaftet haben die bayerischen Ermittler in der Causa Diesel bislang nur den Audi-Motorenentwickler Giovanni Pamio, der drei Stufen unterhalb der Vorstände rangiert.
Drei Stufen unter Rupert Stadler also.
Der stand bereits seit fünf Jahren an der Spitze der Audi AG, als er 2012 sein Plädoyer „für einen ökonomischen und ethischen Neuanfang" verfasste. „Unersättlichkeit und immer kurzfristigeres Agieren dürfen nicht dominierendes Prinzip unserer Zeit werden", warnte der Audi-Chef in seinem Besinnungsaufsatz in der „Wirtschaftswoche". „Der ehrbare Kaufmann muss in Wirtschaft und Gesellschaft wieder zum Leitbild für ein Miteinander im Zeichen von Moral und Vertrauen werden", schrieb Stadler. Denn „wenn wir uns gegenseitig wieder vertrauen können, werden wir auch das uns Deutschen oft fehlende Zutrauen in die Zukunft finden." Was soll man von diesen Worten halten, heute, fünfeinhalb Jahre später? Bei Audi in Ingolstadt wurden die abgasmanipulierten Drei-Liter-Motoren entwickelt, die auch von den Konzernschwestern Porsche und VW systematisch verbaut wurden. Audi Entwicklungsvorstand Stefan Knirsch musste gehen. Rupert Stadler dagegen ist bis heute im Amt.
Ein früherer Automanager fordert nun ein kompromissloses Durchgreifen in den Führungstagen der Konzerne. „Mindestens 50 Vorstände" müssten „ausgetauscht werden", befindet der ehemalige Chefvolkswirt von BMW, Helmut Becker, sollte sich nach der Abgasschummelei auch noch der Kartellverdacht bestätigen. Denn die Topmanager seien schuld an den Fehlentwicklungen, nicht die Beschäftigten in der Automobilindustrie.
Doch die Frage lautet wohl eher: Wem ist was nachweisbar? Schon in den Verfahren gegen Großbanken nach der Finanzkrise ldagte der damalige Chef des Deutschen Richterbundes, der Freiburger Oberstaatsanwalt Christoph Frank, über die Schwierigkeiten, Vorstände dingfest zu machen.
In den Unternehmen herrschten Strukturen, die ein Nachverfolgen von Anweisungen extrem schwer machten. „Der Vorstand wird beraten über verschiedene Hierarchieebenen hinweg, und wir müssen ihm nachweisen, dass er erkannt hat, dass die Beratung falsch war oder er bewusst entgegen Warnungen gehandelt hat", sagte Frank.
Dass aber ist zunehmend schwierig.
Denn viele Unternehmen haben mittlerweile das Vorstandsbüro durch eine imaginäre Wand vorn Rest des Konzerns getrennt.
Heikle Informationen gehen dort nur noch mündlich hindurch. Und wenn etwas schriftlich hineingereicht wird, besteht immer noch die Möglichkeit, zu bestreiten, es gelesen zu haben. Staatsanwaltschaften und Polizei sind deshalb bei Razzien dazu übergegangen, Fotografen mitzunehmen.
Diese sollen zumindest festhalten, welche Akte in wessen Büro gelegen hat.
Der Wirtschaftsethik-Experte Julian Nida Rümelin vermutet, dass es sich bei den Autokonzernen „um Imperien handelt, die nicht mehr den Eindruck hatten, dass sie wirksam kontrolliert werden und dann allmählich ethisch verlotterten" (siehe Seite 49). Möglicherweise habe sich in den Chefetagen der Autokonzerne die Einstellung ausgebreitet: „Von uns wird erwartet, dass wir gute Geschäfte machen und Arbeitsplätze schaffen, aber Normen davon sind wir weitgehend freigestellt." Dafür spricht, dass der Dieselskandal in den USA aufgedeckt wurde, wo die Nähe zwischen deutscher Autoindustrie und Regulierungsbehörden nicht bestand.
Enge Bande zur Politik In Deutschland hingegen sitzen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) regelmäßig mit den Autobossen zusammen. Auf der Ebene darunter beschäftigt Daimler mit Eckart von Klaeden einen Cheflobbyisten, der früher Staatssekretär in Merkels Kanzleramt war. Die Volkswagen AG kann sogar auf zwei hochrangige Kontaktpersonen im politischen Berlin zurückgreifen: mit Thomas Steg auf den einstigen Vizesprecher der Bundesregierung, seit 2012 Generalbevollmächtigter für Außen und Regierungsbeziehungen des Unternehmens. Und mit Michael Jansen auf den ehemaligen Büroleiter von Merkel, der nun das Berliner Büro von VW führt. Hinzu kommt der Automobil-Verband VDA, der von Matthias Wissmann geführt wird, einst CDU-Verkehrsminister.
Das beste Argument liefert den Lobbyisten im Zweifel immer der Verweis auf die vielen Arbeitsplätze, für die die Autoindustrie sorge. Ein Argument, das nicht einmal falsch ist. Tatsächlich ist die deutsche Autoindustrie akut bedroht durch den verpenn ten Trend zur Elektromobilität. Es liegt durchaus im deutschen Interesse, den hiesigen Autokonzernen die nötige Atempause zu verschaffen, damit sie auf diesem Gebiet Versäumtes nachholen und so Arbeitsplätze sichern können.
Doch mit jeder Sonderregel und Übergangsfrist, die die Bundesregierung auf EU Ebene für die Autobranche erkämpft, steigt die Gefahr, dass Lobbyismus für die Autokonzerne zum eigentlichen Kerngeschäft wird. Dass man sich dort auf seine guten Kontakte zur Politik verlässt, anstatt mit voller Kraft an umweltfreundlichen Technologien zu arbeiten. Insofern trifft die Bundesregierung eine Mitschuld an der „ethischen Verlotterung", die Nida-Rümlin bei der deutschen Autobranche konstatiert.
Viel zu oft und viel zu vehement haben sich Merkel und ihre Minister in Brüssel für die Sonderinteressen der Autoindustrie starkgemacht. Erst jetzt, nachdem Dieselund Kartellskandal die Branche entzaubert haben, zeigt sich, wie viel politisches Kapital dabei verspielt wurde.
„Das offensichtlich komplizenhafte Vorgehen mancher Automanager macht es uns deutschen Abgeordneten nicht leicht, in Brüssel weiter für die Interessen der deutschen Industrie einzutreten", sagt der EU-Parlamentarier Elmar Brok (CDU) dem Handelsblatt. In seiner Fraktion herrsche blankes Entsetzen über den Kartellverdacht.
Falls er sich bestätigen würde, schließt Brok die Einsetzung eines parlamentarischen Sonderuntersuchungsausschusses nicht aus. Auf den Fluren des EU-Parlaments macht derweil der Vergleich zwischen dem Autokartell und den Machenschaften der Bankenbranche vor der Finanzkrise die Runde.
Der Kartellverdacht hat auch die EU Kommission aufgeschreckt. Kommissionsvize Jyrki Katainen berichtete seinen Amtskollegen am Mittwoch darüber, was inzwischen alles gegen die deutsche Autobranche vorliegt. Die Kartellermittlungen selbst liegen allein in der Hand der EU Wettbewerbskommissarin. Margrethe Vestager gilt als durchsetzungsstark, kompetent und immun gegen politische Einflussnahme.
Bis zur offiziellen Eröffnung des Kartellverfahrens, wenn es denn überhaupt kommt, kann es noch lange dauern. Offizielle Mitteilungen an Kartellsünder versendet die EU-Wettbewerbsbehörde nämlich erst dann, wenn sie die Ermittlungen quasi abgeschlossen und alle Beweise in der Hand hat. Dafür werden erfahrungsgemäß Jahre benötigt. Ein Beispiel dafür ist das Lkw-Kartell: Die Selbstanzeige von MAN war bereits im Jahr 2010 eingegangen. Erst vier Jahre später eröffnete die Kommission das Kartellverfahren offiziell. Noch länger dauerte es beim Klimaanlagen-Kartell: 2010 hatte die Kommission erste Hinweise auf den Fall erhalten. Erst sieben Jahre später folgte das Verfahren.
Ganz unabhängig vom Ausgang eines eventuellen Verfahrens gegen die drei Autokonzerne steht fest: Deutschland hat sich in fatale ökonomische Abhängigkeit von einer Branche begeben, deren Geschäftsmodell absehbar an ökonomische wie ökologische Grenzen stößt. So, wie viele Automanager die Haltung des ehrlichen Kaufmanns vermissen lassen, so fehlte es allzu vielen deutschen Politikern an der staatsmännischen Stärke, den Einflüsterungen der Autoindustrie zu widerstehen.
Wohin es führen kann, wenn sich eine ganze Volkswirtschaft von einigen Unternehmen als willige Geisel nehmen lässt, zeigt das Beispiel Großbritannien. Was in Deutschland die Autos, waren in Großbritannien die Banken. Auf Margeret Thatchers „Big Bang", die Entfesselung des Finanzsektors Mitte der 1980er-Jahre, folgten wechselnde Regierungen, mal konservativ, mal sozialdemokratisch, deren Wirtschaftspolitik vor allem im Unterlassen bestand: Bloß nichts tun, was den Interessen in der Londoner City entgegenstand. 2009 machte der Finanzsektor in Großbritannien 9,1 Prozent oder 133,4 Milliarden Pfund der Bruttowertschöpfung aus. Zehn Jahre zuvor waren es gerade einmal 5,4 Prozent gewesen. Großbritanniens Industrie dümpelte derweil vor sich hin. Lange schien das auch kein Problem zu sein, im Gegenteil: Dienstleistungsj ohs galten bei Ökonomen weltweit als die Arbeitsplätze der Zukunft.
Dann kam die Finanzkrise. Nach und nach wurde klar: Die Golden Boys in ihren Glastürmen hatten keineswegs die Volkswirtschaft der Zukunft aufgebaut. Sie hatten einfach nur gezockt und dabei auch noch gegen zahlreiche Regeln verstoßen.
Eine ganze Branche erlebte ihren Höllensturz. Symbolischer Höhepunkt: Die Queen verstieß 2012 den früheren Chef der Royal Bank of Scotland, Fred Goodwin, aus dem Ritterstand. Seine Bank musste mit 45 Milliarden Dollar an Steuerzahlergeldem gerettet werden.
Im vergangenen Jahr machte der Finanzsektor nur noch 7,2 Prozent der britischen Wertschöpfung aus. Der Bedeutungsverlust der Bankenbranche hat die britische Gesellschaft in eine ökonomische Sinnkrise gestürzt. Die tiefe Entfremdung zwischen der Londoner Politik und Finanzelite und dem Rest des Landes hat indirekt auch zum verhängnisvollen Austritt aus der EU geführt vielen enttäuschten Bürgern ging es beim Brexit-Referendum darum, „denen da oben" einen Denkzettel zu verpassen.
Gefährliche Elitenverachtung Die Deutschen haben den Trend zur Dienstleistungsgesellschaft nicht mitgemacht. Das hat sich in der Finanzkrise als Segen erwiesen und verhilft Deutschland zu seinen heutigen Exporterfolgen und Beschäftigungsrekorden. Doch der Segen droht sich nun zum Fluch zu entwickeln.
Denn mit jedem neuen Skandal zeigt sich, dass die Autobranche in ihrer jetzigen Form ein Geschäftsmodell verfolgt, das ebenso wenig nachhaltig ist wie weite Teile des Investmentbankings.
Auch in Deutschland besteht die Gefahr, dass durch die Skandale der Autobranche der Populismus einen neuen Aufschwung nimmt. Etwa wenn Durchschnittsbürger mit ihren in gutem Glauben erworbenen Diesel-Pkws nicht mehr in die Innenstädte fahren dürfen während die Limousinen der Autobosse und Politiker weiter freie Fahrt genießen.
Noch bleibt Zeit, das Land aus der Geiselhaft der Autokonzerne zu befreien. Nicht mehr die Protektion der Autobranche um jeden Preis muss in Zukunft das Primat der deutschen Wirtschaftspolitik sein, sondern die Diversifizierung der Wirtschaftsstruktur.
Pharma, Medien, Software: In vielen Schlüsselbranchen des 21. Jahrhunderts spielt Deutschland kaum noch eine Rolle.
Um daran etwas zu ändern, brauchtDeutschland keine Manager und Politiker, die von Charakter reden. Sondern die ihn besitzen.
Sven Afhüppe, Ruth Berschens, Markus Fasse, Sönke lwersen, Jan Keuchel, Volker Votsmeier
Das Bundeskartellamt und die EU-Kommission gehen seit Jahren hartnäckig gegen Marktmissbrauch und illegale Absprachen von Unternehmen vor oft mit hohen Strafen. Einige Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit: Googles Shopping-Suche: Es war eine der heftigsten Niederlagen der Konzerngeschichte. 2,42 Milliarden Euro Strafe verhängte EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager Ende Juni gegen den Technologieriesen aus dem Silicon Valley. Der Vorwurf: Wenn ein Kunde über die Suchmaschine eine Abfrage startet, stellt der Konzern eigene Dienste wie Google-Shopping prominenter vor als die von Konkurrenten. Anbieter wie Billiger.de oder Idealo fühlten sich davon benachteiligt und hatten 2010 geklagt. Sieben Jahre später urteilte die Kommission: Sie hatten recht, Google hat seine Marktmacht missbraucht.
Lkw-Kartell Über viele Jahre hinweg hatten Lkw Bauer ihre Kunden mit überhöhten Preisen über den Tisch gezogen. Die EU-Kommission verhängte schließlich ein Rekordbußgeld von fast drei Milliarden Euro. An den Absprachen waren laut Kommission Daimler, Volvo, Iveco, MAN und DAF beteiligt. Ein Kartellverfahren gegen Scania läuft noch. Allein Daimler zahlte mehr als eine Milliarde Euro. MAN, Teil des VW-Konzerns, ging dagegen straffrei aus. Die Münchener hatten sich im Jahr 2011 selbst angezeigt und so die Aufdeckung des Kartells erst möglich gemacht. Allerdings ist kein Kartellant dagegen gefeit, von den geschädigten Kunden auf Schadensersatz verklagt zu werden. Vor allem die großen Speditionen laufen sich für solche Klagen bereits warm.
Zuckerkartell Die drei Zuckerhersteller Südzucker, Nordzucker und Pfeifer und Langen haben laut Bundeskartellamt von April 1996 bis September 2014 illegale Absprachen zum Schaden ihrer Abnehmer getroffen. Die Behörde verhängte daraufhin Geldbußen von 280 Millionen Euro. Doch damit ist die Sache nicht ausgestanden: Inzwischen laufen etliche Klagen auf Schadensersatz.
Die Summe der Forderungen von Unternehmen wie Nestlé, Katjes Fassin, Bauer, Ehrmann oder Müller Milch beläuft sich inzwischen auf mehr als 400 Millionen Euro.
Aufzugkartell Für massive Preisabsprachen zog die EU-Kommission 2007 Aufzughersteller wie Otis, Schindler, Kohne und Thyssen-Krupp zur Rechenschaft. Eine knappe Milliarde Euro mussten die Kartellanten nach Brüssel überweisen.
Für Thyssen-Krupp wurde es besonders teuer.
Als Wiederholungstäter zahlten die Essener 479 Millionen Euro. vv, asd